Incredible India

Von Mumbai (das früher mal Bombay hiess) fliege ich nach meinem zweiten Business Tripp in Serie für vier Tage nach Kerala im Süden Indiens. Die vier Tage nehmen es in Sachen Intensität locker mit einem zweiwöchigen Urlaub auf.

Ich hatte organisiert, dass ich am Flughafen Cochin (Heisst auch Cochi. Oder Kochi) abgeholt werde. Es steht da aber nur der Reisebuero-Vertreter und teilt mir mit, dass der Fahrer unterwegs sei. Ich nutze die Zeit und lasse mir vom Fachmann ein paar Tipps geben für die bevorstehenden Tage, und warte. 15 Minuten. 30 Minuten. 45 Minuten. Der gute Mann ist bis zu diesem Zeitpunkt intensiv darum bemüht, mir Cochin als neue Lufthansa Destination zu verkaufen. Nach einer knappen Stunde wird er allerdings immer kleinlauter als er merkt, dass ich es langsam nicht mehr lustig finde. Zum Glück hat das Warten endlich ein Ende und meine Reise nach Munnar geht los. Die Fahrt dauert rund viereinhalb Stunden und ist ziemlich anstrengend. Die ersten grünen Flächen mit Tee-Pflanzen sind Erholung pur für meine überreizten Sinne.

Endlich angekommen, schließe ich die Türe zu meinem Hotelzimmer hinter mir mit der Vorfreude, ein paar Minuten Ruhe zu finden. Um Himmels Willen, woher kommt nur dieser ohrenbetäubende Lärm? Ich trete vor meine Zimmertür und sehe den Wasserfall, der mitten durch die Hotelanlage führt. An Schlaf ist später so definitiv nicht zu denken. Ich wähle die Nummer der Reception und erkundige mich, ob es allenfalls ein anderes Zimmer gäbe? Höre ich da ein Lachen am anderen Ende der Leitung? Der Wasserfall ist künstlich. Er wird um zehn Uhr abends abgestellt. Ach so.

Bis zur Hill Station, dem höchsten Punkt der riesigen Tee-Region, dauert es am anderen Morgen eine weitere Stunde. Das satte Grün der Plantagen ist unbeschreiblich! Ich versuche mir vorzustellen, wie das Leben ausgesehen haben muss, als der Handel mit Tee zu Florieren anfing… Als auf einer Wiese plötzlich eine Gruppe Elefanten steht, ist das Bild in meinem Kolonialismus-Kopfkino perfekt.


Die Hill Station selber ist dann im Vergleich zur Landschaft während der Fahrt eher enttäuschend. So verliere ich auch nicht allzu viel Zeit und sauge auf dem Weg nach Cochin nochmal das satte Grün auf.

 

Am späten Nachmittag treffe ich endlich dort ein. Mein Hotel – ein tolles, altes Haus im Kolonial-Stil – liegt auf einer kleinen Landzunge gegenüber von Fort Cochin, direkt am Meer. Früher hatten in der Gegend offenbar viele Reedereien und Handelsfirmen ihre Niederlassungen. Schilder weisen drauf hin, dass Teile der Gebäude der Marine gehören. Heute wird die Halbinsel aber eher von Gebäuden der Zement- und Öl-Industrie dominiert, also eher ein bisschen unwirtliches Gebiet. Aber ich will ja vor allem Fort Cochin sehen. Eine Fähre unweit des Hotels soll mich da hin bringen. Die Leute an der Fähren-Station sind sehr freundlich und hilfsbereit als es um den Kauf eines Tickets geht. Als erstes sagt Man(n) mir: warten! Denn das Ticket kann erst fünf Minuten vor Ablegen der Fähre erstanden werden. Aha. Die Überfahrt ist kurz aber ich bezweifle, ob die Fähre fuer lange Strecken gemacht wäre. Ich möchte es auf jeden Fall nicht drauf ankommen lassen.


Da ein Teil der Sehenswürdigkeiten leider am Freitag geschlossen ist und die Chinesischen Fischernetze (eine der Sehenswürdigkeiten) erst gegen Abend ‚spannend‘ werden, entschliesse ich mich spontan zu einer Ayurveda Massage. Der Eingangsbereich des Spa’s ist sehr ansprechend, der Behandlungsraum erinnert mich eher etwas an eine Folterkammer… Zwei Frauen legen gemeinsam Hand an, aber leider ist die Massage alles andere als entspannend. Die Entspannung hole ich mir im Anschluss beim Mittagessen in einem tollen Restaurant, welches in alte Stallungen gebaut ist.


Es ist an der Zeit, mich auf den Weg zu den Chinesischen Fischernetzen zu machen. Einmal mehr weiss ich nicht, wo ich überall hinschauen soll und vor allem, wie ich all die Eindrücke verarbeiten soll…

Als sich die Sonne langsam zum Horizont neigt, bin ich der Szenerie total verfallen und  kann mich nicht mehr los reissen. Ich wandere umher und versuche im Viertelstundentakt einen anderen Winkel oder ein anderes Licht zu erwischen.

Als das Natur-Spektakel zu Ende ist, mache ich mich auf den Weg zur Fähren-Station und stelle mich für den Ticket-Kauf in die Schlange ‚Ladies‘ (Frauen) – die, oh Wunder – massiv kürzer ist als die der ‚Gents‘ (Männer). Ich nenne meine Destination und kaufe ein Ticket fuer 4 (!) Rupees (so klein ist unsere Währung gar nicht) und warte. Als eine Fähre kommt sagt irgendwas in mir, dass ich nochmal nachfragen sollte, ob dieses Boot wirklich nach Willingdon Island geht. Ah… Nononono. Aha, okay… Dann, welches? Man(n) sagt, warten. Als das Boot weg ist, sagt Man(n) aber auch, frau müsse ein neues Ticket kaufen weil das gekaufte verfallen sei denn diese Fähre sei ja zu einer anderen Destination gefahren. Bitte wie? Ich stehe ja immer noch hier. Mit ungebrauchtem Ticket. Ich hatte ja gesagt, dass ich ein Ticket nach Willingdon Island möchte und begreife nicht, warum Man(n) mir das Ticket zur anderen Destination verkauft hatte. Tja, das sei jetzt halt so… Das Ticket sei auf jeden Fall nicht mehr gueltig. Ich gebe zu, trotz der laeppischen vier Ruppees fühle ich mich ein bisschen veräppelt, stelle mich wieder bei ‚Ladies‘ an und warte. In der Zwischenzeit ist die Plattform ziemlich bevölkert und offenbar unterhält man sich intensiv über mich. Einen Kopf grösser und um einige Hauttöne blasser als der Rest, falle ich ja auch nur minimal auf… Ich stelle mich dann erst mal ein bisschen auf stur, als man mir zu verstehen gibt, dass mir jetzt erlaubt sei, mein (richtiges) Ticket zu kaufen.

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Als die Fähre kommt und ich einsteige zeige ich nochmal meine Karte und deute auf mein Ziel. Der gleiche Ticket-Verkäufter schüttelt den Kopf. Was? Nein? Als er auf die zweite Anlegestelle auf der Hotel-Halbinsel zeigt, bin ich einigermassen beruhigt. Aber nicht lange. Denn, das ist zwar auf meiner Insel, aber da es in der Zwischenzeit dunkel geworden ist, hab ich ein bisschen ein mulmiges Gefühl und frage mich, wie ich von dort ins Hotel komme… Am Fähren-Terminal zu bleiben und mich nochmal mit dem Ticket-Verkäufer anzulegen ist auch keine Option. Und so steige ich ein. Ein paar Minuten später, ich sehe schon das Hotel, steige ich aus und stelle leider fest, dass wenn man einmal ein Tuck Tuck bräuchte, sicher keines da steht. Meine Tasche fest umklammert schreite ich los. Entlang von Mauern, Trucks, Silos, verlassenen Häusern. Sporadisch fahren Autos, Tuck Tuck und Motorräder an mir vorbei. Auch ein paar Menschen stehen bei ihren Trucks. Die 10 Minuten kommen mir vor wie eine Ewigkeit und ich bin SEHR froh, als ich die Hotelanlage betrete!

Am anderen Morgen mache ich mich auf nach Kumarakom für eine vierstündige Bootstour in die Backwaters (so heisst das Gebiet um einen See mit diversen Kanälen). Ist schon ziemlicher Luxus, das Hausboot nur für mich allein zu haben…. Das Tempo des Bootes ist extrem langsam und so ist die Fahrt totale Entschleunigung. Entlang des Kanals bis zum See sehe ich Menschen ihre Morgentoilette erledigen. Andere machen Wäsche. Ich sehe eine Frau,  die Schuppen von Fischen schabt. Andere werfen ihre Angelruten aus. Der Wasserkanal ist offenbar Lebensader für die Menschen. Da ist es noch unverständlicher, warum alle erdenklichen Gegenstände im Wasser schwimmen. Generell ist der Abfall überall gegenwärtig. Und leider nicht in kleinen Mengen.


Am Sonntag ist bereits Abreisetag. Da ich aber schon grosse Lust habe, die Synagoge in Fort Cochin doch noch zu sehen, setze ich nochmal mit der Fähre über. Ich weiss ja jetzt, wie es geht. ‚Tout Fort Cochin‘ scheint am Sonntag auf den Beinen zu sein und im Ort herrscht ein Gewusel sondergleichen. Auch heute werde ich immer wieder von Indern angesprochen, wo ich her sei. Switzerland? Oh, very nice country!
Es ist wohl Murphy’s Law, dass es auch diesmal keine direkte Fähre zurück zum Hotel gibt. Als ich im Hotel ankomme bin zwar wiederum Schweiss gebadet, diesmal aber dank der 40 Grad, die ja zu dieser Jahreszeit in Kerala herrschen. Ich versuche, mich so gut wie möglich frisch zu machen für die mehrstündige Heimreise und bestelle mir – total ausgehungert – noch einen Snack bevor ich die 1,5 Stunden Fahrt zum Flughafen in Angriff nehme. Doch, der Snack wird und wird nicht serviert… Beim dritten Mal nachfragen sage ich, sie sollen mir das Ganze einpacken, ich müsse jetzt zum Flughafen. Wobei dies – im Nachhinein betrachtet – den Prozess wohl eher verzögert als beschleunigt hatte… Nun denn, als ich ins Auto steige, kommt einer der Kellner mit einer Schachtel angerannt. Grandios. Geht doch!

Da ich mich an Indiens Flughäfen schon so einiges gewohnt bin, ist es nicht verwunderlich, dass auch diesmal etwas Aussergewöhnliches vorfällt… Nach einer halben Stunde Anstehen komme ich am Crew Schalter endlich an die Reihe; leider nur um zu erfahren, dass der Flug derzeit voll ist und ich mich gedulden solle bis das Check-in abgeschlossen sei… Okay, kenne ich ja. Und warte. Irgendwann tauchen allerdings vier Flughafenpolizisten auf und gruppieren sich um ein Gepäckstück nicht weit von mir. Die Leute rundherum werden gefragt, wem die Tasche gehöre… Offenbar niemandem. Nicht gut. Die Menschen bewegen sich weg von der Stelle. So gut es halt eben geht, denn die Warteschlangen vor den Schaltern sind lang und dicht. Die meisten lässt das Ganze kalt… Ich bewege mich auch von der Stelle weg und beobachte die Szene aus Entfernung und es ist glücklicherweise falscher Alarm!
Kurz vor Mitternacht kriege ich dann doch meine Bordkarte in die Hand gedrückt. Dass ich ziemlich froh bin, als ich ein paar (Flug)- Stunden später meine Wohnungstür aufschliesse, brauche ich hier wohl nicht extra zu erwähnen. Die Erlebnisse der vier Tage sind in jeglicher Hinsicht wahnsinnig eindrücklich und einmal mehr denke ich: Incredible India (Unglaubliches Indien).

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